Süddeutsche Zeitung

Auf den Spuren der "Neuen Welt"

6. Dezember 2023

Der aus Passau stammende Fotograf und Autor Wolfgang Sréter hat sich intensiv mit dem Thema Winter im Bayerischen Wald auseinandergesetzt.


Der Bayerische Wald war lange ein Landstrich, der geprägt war von seiner Grenzlage und der dünnen Besiedelung. Mit dem Niedergang des Eisernen Vorhangs weitete sich die Welt gen Osten. Neue Bücher widmen sich dem Bayerwald und dem Böhmerwald.

 

Von Hans Kratzer

 

Die Welt verändert sich in einer unerhörten Rasanz. Vieles von dem, was man Heimat nennt, was den Menschen noch vor zwei Generationen tief vertraut war und unantastbar schien, ist mittlerweile verschwunden. Eine neue Welt ist an die Stelle alter Verhältnisse und Gewohnheiten getreten, aber diesen Wandel gab es - wenn auch weniger rasant - früher schon. Am östlichsten Zipfel des Bayerischen Waldes erstreckt sich ein Landstrich, der den Namen "Neue Welt" trägt. Es ist die Region um Wegscheid, Breitenberg und den Dreisessel, direkt an der Grenze zu Böhmen und zum österreichischen Mühlviertel gelegen. Erst im 18. Jahrhundert wurde dieses Land planmäßig besiedelt.

Der aus Passau stammende Fotograf und Autor Wolfgang Sréter, Jahrgang 1946, hat sich zuletzt auf seinen Touren intensiv dem Winter in der "Neuen Welt" gewidmet. In den vergangenen Jahren hat er hier nur noch dünne Schneedecken statt meterhoher Schneewände hervorgebracht. Erst in diesem Dezember fällt schneemäßig alles wieder so üppig aus, wie es früher einmal war. Sréter dokumentiert diesen Wandel des Klimas, der Winterzeit und der Landschaft in seinem aktuellen Bildband mit kurzen Texten. Seine Bilder zeigen Panoramen, Wälder, Granitsteine und die Infrastruktur des Tourismus, also Schneekanonen und die letzten Skilifte, an denen entlang sich weiße Bänder aus künstlichem Schnee durchs Grün ziehen. Die Fotografien dokumentieren aber auch die Schönheit, die der Winter mit seinen variablen Stimmungen trotz allem immer noch ausstrahlt.

Sréter erzählt ergänzend zu den Fotostrecken kurze Geschichten von Gräbern, vom Krieg, von der Mystik wie auch von den winterlichen Grau-Schattierungen dieser Gegend. Es sind Reminiszenzen an eine Zeit, die heute fast unwirklich erscheint. Wo fänden Kinder jetzt noch Straßen, auf denen kaum Autos verkehren, um auf ihnen ungestört Schlitten zu fahren. Oder die einstige Skifreude am Dreisessel, wo am Lift der Kondukteur noch mit einer Zange die Zehnerkarte abstempelte und manchmal die Augen für eine Freifahrt zudrückte.

Unter der "Neuen Welt" verstand man eigentlich das Sehnsuchtsland Amerika. Dorthin wanderten im 19. Jahrhundert gerade aus dieser Gegend viele Menschen aus. Es war stets viel Hoffnung damit verknüpft. Eine Hoffnung, die schon der junge Sréter spürte, als er auf den Gipfeln weit nach Tschechien hineinschaute. Und tatsächlich sollte nach der Grenzöffnung noch einmal eine neue Welt hinzukommen, der tschechische Nationalpark Šumava. Er lag jahrzehntelang am Ende der Welt, der Eiserne Vorhang trennte bis 1990 den Bayerischen und den Böhmischen Wald und seine Bewohner (Buchvorstellung am 16. Dezember im Kutscherhaus der Villa Breitenberg. Kartenreservierung: info@villabreitenberg.de und Tel. 08584/ 989 45 21).