Traglinger

„Was ist eine blühende Stadt?“ schreibt Traglinger mit schwarzer Farbe an die Wand. Diese Frage treibt den Archivar der Stadt am grünen Fluss unruhig durch die alten Gassen. Ist der Friedhof der beste Platz für eine erste Liebesnacht, oder die Fußgängerzone die geeignete Arena, um Nashörner tanzen zu lassen? Ist die Luftpromenade einer gotischen Basilika der richtige ort für ein Festmahl? Können Don Giovanni und Zerlina in Gestalt einer doppelköpfigen Jahrmarktsperson ihre Arien zum Rhythmus des Wassers singen? Die Besuche im Palmencafé ersetzen die Flucht in die Karibik, können aber die Kopffeuer nicht löschen, die Traglinger seit seiner Jugend begleiten … A1 Verlag, München ISBN 3-927743-09-7 www.a1-verlag.de

Pressestimmen:

Wolfgang Sréter ist weit mehr gelungen als nur das Dokument einer Hassliebe zu seiner Heimatstadt. Stets höchst reizvoll und mit einer Sprache, in der sich Sinnlichkeit und Präzision vereinen, entführt er in seine Welten, die dem Leser ebenso plastisch erscheinen wie dem Helden. Große Erzählkunst wird spürbar, durchzogen von einem leise melancholischen Grundton.

Landshuter Zeitung

Der Autor erweist sich als feinfühliger, stiller Erzähler, der seinen Helden Traglinger zum realitätsflüchtenden Träumer in vielen Welten werden lässt. Die Erzählung ist einem abstrakten Bild vergleichbar, mit Muße und Kontemplation kann man die Botschaften umkreisen.

Passauer Neue Presse

Die Erzählung ist voll subtiler Beobachtungen. Sie zeigt die Stadt in ihrer Anonymität als modernen Alptraum …

Münchner Merkur

Ein schönes Buch, feinsinnig geschrieben!

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Textauszug:

… Pünktlich um vierzehn Uhr bat er um die Rechnung. Er zahlte zwei, manchmal auch drei Tassen Kaffee, immer aber einen Eisbecher Traum der Karibik mit bunten Papierschirmchen und Schokolade überzogenen Waffelröllchen, nahm der Jahreszeit entsprechend seinen dicken Wintermantel von der Garderobe, setzte seine Pelzmütze auf, zog die Handschuhe an und verließ, begleitet vom spöttischen Flüstern der Bedienungen, den überheizten Raum. Zurück blieb sein Stammplatz, den er bei seinen winterlichen Besuchen nur selten besetzt fand, da er zu sehr in der Bepflanzung vergraben war. Zurück blieb auch der Traum von leuchtend roten Hibiskushecken, blauen Lagunen und weißen Städten in ewiger Sonne.

Vor ihm lag der von uniformierten Parkwächtern frisch geräumte Weg zum Eingang des Schlosses, der Weg zur Straßenbahn, ein kleines Stück am zugefrorenen Kanal entlang, die Fahrt zum Hauptbahnhof mit einmal Umsteigen und der Zug auf Gleis siebenundzwanzig, fast immer kalt und leer.

Nachdem der Zug die Vorstädte und Neubauviertel verlassen hatte, sah er durch die angelaufenen Scheiben die Schneebedeckte Landschaft. Zunächst mit weit gezogenen Hügeln, dann übergehend in die große Ebene, deren Felder jetzt brach lagen, ohne Konturen, vermischt am Horizont mit dem Grau des Himmels. Nur ab und zu zogen dunkle Flecken vorbei, wenn ein Bauer Mist ausgebracht oder geodelt hatte. Durch die Lüftung wurde der scharfe Ammoniakgeruch eingesaugt und vermischte sich mit dem Duft parfümierter Zigaretten eines amerikanischen Soldaten, dem einzigen Fahrgast neben ihm im Großraumwagen. Manchmal versank er gegen Ende seiner Reise, fest eingewickelt in seinen Mantel, in einen unruhigen Schlaf, und erst die Stille des stehenden Zuges im Sackbahnhof holte ihn zurück in den Waggon zweiter Klasse.

Zuhause blieb er noch eine Weile in der Haustür stehen. Die Hände, mitsamt den Handschuhen, tief in den Manteltaschen vergraben, zog er die Winterluft in die Nase. Als er die Kälte nicht mehr aushalten konnte, trat er zurück und ließ die Glastür einschnappen. Immer noch zögerte er, aber mit der Scheibe zwischen sich und der Welt war der Tag zu Ende. Langsam stieg er in den ersten Stock. Wenn er zwei Treppen genommen hatte, hüfte er mit beiden Beinen gleichzeitig eine Treppe zurück.

Oft machte er auf dem ersten Treppenabsatz kehrt, stieg zum grünen Fluss hinab und wanderte am Ufer frierend und ruhelos entlang. Er schickte seine Gedanken stromabwärts, hörte auf das Wasser, und wenn er den unregelmäßigen Rhythmus der Wellen ganz in sich aufgenommen hatte, begann er eine Melodie, erst leise und vorsichtig, anschwellend, wenn ein Auto seine Ruhe störte, und brüllend, dem Nachtzug entgegen, der über die nahe Eisenbahnbrücke donnerte.

Vor sich sah er Sonny Rollins, der die Schwermut seines Saxophons der New Yorker Subway entgegenschleuderte, manchmal die halbe Nacht, bis er gelöst, den Instrumentenkoffer über der Schulter einem Club zusteuerte, sich zu einem müden Trio setzt, es wach küsste mit dünnen hohen Tönen, es lockte mit seinem rauen Lachen und mit einem Glas Whiskey neben sich auf dem Boden, den Sturm entfachte, den er brauchte für seine Art von Musik …

Traglinger
A1 Verlag, München
ISBN 3-927743-09-7